Halabja 1988

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Mutter, wieso schlafen alle? 

Plötzlich hörte ich eine gedämpfte Explosion.
Ich hörte viele Flugzeuge über uns, eine laute Sirene.
Ein starker, seltsamer Geruch ging durch meine Nase..
"Daye", schrie ich. "Daye, was passiert hier?"
Ich wollte zu ihr laufen, doch meine Kraft verließ mich.
Ich fiel hin und konnte nur noch schwarz sehen...

Als ich wieder aufwachte, konnte ich meine Augen nur mit großer Mühe öffnen.
Ich hörte schwaches Weinen und Schreie.
"Anfal, Anfal", schrie jede Menschenstimme.
Ein nasses Tuch lag auf mein Gesicht.
Meine Mutter schrie und rannte zu mir.
Sie nahm mich und lief raus.
Ich sah mein Vater leblos auf dem Bordstein liegen.
Mein kleiner Bruder Azad lag unter ihm, die Augen geschlossen, den Mund weit offen.
Umhüllt von seiner rosa Lieblingsdecke.
Wieso rannten sie nicht mit uns?
Ich sah leere Menschenkörper.
Aus ihren Münder floss gelbe Flüssigkeit.
Ihre Augen waren geschlossen, ihre Münder aber offen, als würden sie schreien wollen.
Vielleicht schrien sie stumm nach Hilfe, nach Frieden. Doch so hört sie niemand.
Aber egal wie laut wir schreien würden, unser Geschrei nach Freiheit und Frieden werden immer mit geschlossenen Ohren empfangen. Sie machen sich taub und unsere Stimmen werden verstummt..

"Daye, warum schlafen alle?", wollte ich meine Mutter fragen, aber ich konnte meinen Mund kaum öffnen.
Ich sah den Rauch, diese verzweifelten Menschen, die versuchten, ihre Seelen vor diesem Rauch zu retten.
Wir rannten immer näher zu einem Fluss, Kanî Shex.
Wir sprangen rein. Wir waren nicht die einzigen im Fluss.
Mir tat alles so weh. Ich konnte mich nicht halten, so schlief auch ich..

Als ich aufwachte, lag ich in einem Krankenhaus.
Ich sah viele Betten mit vielen verletzten Menschen.
So viele Tränen, soviel Leid und soviel Schmerz.
Ich fragte die Krankenschwester, wo Familie war, doch sie gab keine Antwort.
Ich schaute aus dem Fenster, die Sonne schien in meinem Gesicht, die Wolken schwebten in einer Richtung.
Meine Tränen rollten über meine Wangen.
Ich stellte mir vor, wie meine Familie auf den Himmel aufwachten, auf diese Wolken, wo die Engels sie versorgten und sie schützten.
Wo sie in Frieden schliefen.

Die Krankenschwester nähte meine Wunden.
Ob sie die Wunden in meiner Seele auch zunähen konnte oder
werde ich diese Wundern ein Lebenlang in mir tragen.
Ich werde niemals vergessen, was man uns antat und nie verstehen, warum.
Es steht für immer in Trauer in meinem Herzen geschrieben..

HELEBCE JI BIR NEKIN!

16. 3. 1988